Gedanken von Pfarrer Molnár


„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln” (Psalm 23)
Liebe Gemeinde!
Gehorsam! Ein Wort, das wir heutzutage sehr selten benutzen. Ein Wort, dessen Bedeutung eher negativ als positiv klingt. Früher gehörte dieses Wort sowohl zur Kindererziehung als auch zur Ausbildung von Beamten in allen Ebenen des Staates. Gehorsamkeit gehörte jahrhundertelang zur Grundlage des Lebensvollzugs. Das ging eine lange Zeitlang gut. Nach dem 2. Weltkrieg begann langsam aber sicher eine neue Epoche. Der Gehorsam hatte seine beste Zeit hinter sich.
Wie sieht es heute aus? Die Lehrer konnten zwar nie 100% mit gehorsamen Schülern rechnen, aber heute müssen sie vor allem mit sehr kritischen Eltern rechnen. Wenn es irgendwo brennt oder die Polizei anrücken muss, wird die Krisensituation wenigstens nachträglich bis in die allerletzte Kleinigkeit ausdiskutiert. Man könnte bald sagen, dass die Eltern der Schüler mehr Recht an deren Ausbildung haben als die dafür ausgebildeten Lehrkräfte. Rettungsassistenten und Ärzte müssen sich nach jedem Einsatz warm anziehen. Während sie arbeiten, werden sie beworfen oder sogar bespuckt. Wir leben in so einer verrückten Welt. Unsere Welt ist sehr laut und wortgewaltig geworden: Jeder hat seine Meinung und muss sie herausposaunen. Wir sind überladen mit Informationen und bemerken, dass wir einander nur dann sofort zuhören, wenn unsere Gesprächspartner emotional am Ende sind und entweder brüllen oder weinen. Wir reagieren vermehrt nur noch auf starke Signale.
Es ist egal, worüber wir sprechen. Denkt mal nach, wie sprecht Ihr als Ehepartner miteinander, wie sprecht Ihr Eltern mit Euren Kindern oder Enkeln, wie sprecht Ihr Nachbarn miteinander? Könnt Ihr zuhören? Hört Ihr gerne zu? Oder müsst Ihr lauter sein als euer Gegenüber? Was kommt Euch dazu in den Sinn?
Der berühmteste Psalm der Bibel ist Psalm 23. Es gibt kaum einen Menschen in Deutschland, dem dieses Wort noch nicht begegnet ist: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.” Damit ist der Psalm im Kopf schon vollendet.
Aber irgendwie ist der zweite Teil des Satzes immer wichtiger geworden: „mir wird nichts mangeln.” Es ist uns nicht nur wichtig, keinen Mangel zu haben, sondern noch mehr: Die Menschen haben heute, ebenso wie früher, immer noch eine große Angst vor Mangel. Obwohl unsere Gesellschaft die Gesellschaft der Möglichkeiten, die Gesellschaft der ständigen Optionen, der Wahlmöglichkeiten ist. Eine Möglichkeit oder eine Option bedeutet eine Wahl zwischen gut und besser oder schlechter oder ganz schlecht zu haben. Vor der Möglichkeit oder Option steht der Mensch, der eine Entscheidung treffen muss. Mit all unseren Möglichkeiten wurde der erste Teil des Satzes überflüssig, weil es ja wir selbst sind, die wählen können und entscheiden müssen. Im Überfluss müssen wir scheinbar nichts dem HERRN überlassen. „Der Herr ist mein Hirte” bedeutet ja nichts anderes als dass der Beter dieses Psalms seinen Willen und sein Leben Gott unterordnet. Und das ist die pure Gehorsamkeit.
Wir sollen und wollen alle gehorsame Schafe Gottes sein. Es ist nicht einfach, und nicht nur eine Entscheidung sondern ein Lebensprogramm. Wenn wir sagen, „Der Herr ist mein Hirte”, drücken wir deutlich aus, dass wir alle gleich untergeordnet sind. Untergeordnet, aber nicht im menschlichen Sinne, sondern dem Schöpfer als Geschöpfe. Wenn wir die unangenehme Glaubenserfahrung machen, dass wir die Welt nicht beherrschen können, sondern nur ein Staubkörnchen im ewigen Fluss der Zeit sind, dann erst können wir aus unserem Herzen sagen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln”. Dann ist klar geworden, dass die Möglichkeiten, die wir haben, vielleicht mehr geworden sind als früher, aber die ganz großen Rahmenbedingungen in der Hand eines anderen liegen und wir auf seine Entscheidungen vertrauen müssen.
Die Gehorsamkeit ist das Schlüsselwort. Für viele Leute bedeutet das Wort Gehorsam nichts als die Last blinder oder blöder Unterwerfung. Oft sieht es so aus, als ob gehorsame Menschen mehr Arbeit leisten müssen, als die, die ihre Optionen clever aushandeln. Öfter sieht es so aus, als ob die gehorsamen Mitarbeiter von anderen unterworfen oder ausgenutzt werden. Die Gehorsamen werden auch als „Schafe“ bezeichnet. Personen, die arglos sind. Die, die von ihrer Leistung profitieren, sehen sich selbst als klug und die Schafe als Loser.
In Gottes Wort können gehorsame Christen keine Loser sein. Gottes Wort ist klar und deutlich und versteht unter Gehorsamkeit nichts anderes als tiefen und in sich selbst friedlichen Respekt. Wenn ein Mensch in seinem Leben nicht nur sich selbst und seine gesellschaftliche Rolle respektieren kann, sondern den anderen Mitmenschen in vollem Um fang in seinem Tun und Lassen, dann kann er mit seiner Haltung den größten Schritt für Gott tun. Wenn Menschen vor Gott ihren Einsatz bringen und ihn an seinem wohlwollenden Blick messen, machen sie sich nicht zu Losern, sondern werden frei für die Kraft, die ihnen vom Schöpfer zugemessen ist und entziehen sich der Bewertung, die wir in unserer lauten und meinungsstarken Gesellschaft etabliert haben.
Die Gehorsamkeit ist ein vertikales Wort. Sie verbindet uns Geschöpfe mit dem Schöpfer. Wenn also Christus der gute Hirte ist, darfst Du das Schaf sein und seine Stimme hören und ihm folgen.
Euer
Sándor Károly Molnár